16. Jun. 2020

Beitrag der Wohnungsgenossenschaften zum Erfolg der Umsatzsteuerabsenkung in 2020

gemäß Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur 
Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) - Strategien zur Optimierung der steuerlichen Wirkungen -

Handeln trotz unklarer Gesetzeslage?

Wesentlicher Baustein des am 03. Juni 2020 von der Bundesregierung beschlossenen Konjunkturpakets ist die befristete Absenkung des Umsatzsteuersatzes von 19 % auf 16 % bzw. des ermäßigten Satzes von 7 % auf 5 %. Die Absenkung wird nach der bisherigen Beschlusslage auf das zweite Halbjahr 2020 beschränkt – es wird von den Wirkungen abhängen, ob eine Ausdehnung dieses Zeitraums folgt, was derzeit spekulativ, immerhin aber nicht ausgeschlossen ist. Wie häufig im Zusammenhang mit immer hektischer werdenden Gesetzgebungsprozessen ist auch hier der Fall eingetreten, dass das Bundesministerium der Finanzen (BMF), somit also die Verwaltung, mittlerweile „zurückzurudern“ scheint.

Zunächst einmal muss das Gesetz, welches derzeit lediglich als Gesetzesentwurf der Bundesregierung existiert (veröffentlicht auf der Webseite des BMF) noch vom Bundestag (vorgesehen für den 19. Juni 2020) und sodann vom Bundesrat (nach Pressemittleilungen vorgesehen für den 29. Juni 2020) verabschiedet werden. Auf diesem Weg können sich noch Änderungen ergeben. Man wird jedoch davon ausgehen können, dass die generelle Zielrichtung des Regierungsentwurfs erhalten bleibt. In einem „Entwurf eines begleitenden BMF-Schreibens zur befristeten Absenkung des allgemeinen und ermäßigten Umsatzsteuersatzes zum 01. Juli 2020“ (auf dem Stand vom 11. Juni 2020 auf der Webseite des BMF veröffentlicht) ist vorgesehen, dass die für Wohnungsgenossenschaften entscheidende Gestaltungsoption, bestehende Werkverträge in Teilleistungen aufzugliedern, vor dem 01. Juli 2020 vereinbart worden sein muss, um umsatzsteuerlich anerkannt zu werden. Damit rückt das BMF von einer bei der letzten Erhöhung des Umsatzsteuersatzes zum 01. Januar 2007 praktizierten Verfahrensweise ab; die Finanzverwaltung hatte es seinerzeit nicht beanstandet, wenn auch noch nachträglich, nämlich bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Steuersatzänderung, Vertragsänderungen durchgeführt und Teilleistungen vereinbart wurden. Was ist zu tun?

Wir empfehlen, nicht darauf zu warten, dass sich an der äußerst restriktiven Handhabung gemäß Entwurfsfassung des BMF-Schreibens noch etwas ändert, wenn gleich sicherlich Diskussionen darüber geführt werden und eine Änderung sehr wünschenswert wäre. Stattdessen raten wir den Wohnungsgenossenschaften, der Terminologie im BMF-Schreiben („…..muss vereinbart worden sein….“) folgend, mit ihren jeweiligen Auftragnehmern betreffend bereits bestehender Verträge noch vor dem 01. Juli 2020 „Generalvereinbarungen“ dahingehend zu treffen, dass die in den Verträgen aufgeführten Leistungen im Hinblick auf die geänderte Gesetzeslage in gesondert abzunehmende und abzurechnende Teilleistungen aufgegliedert werden, wobei die Spezifizierung zeitnah im Rahmen der Ausführungsplanung zu erfolgen hat. Wir empfehlen dringend, hierzu juristischen Rat einzuholen.

Ausgangslage

Da die Wohnungsvermietung in aller Regel umsatzsteuerfrei erfolgt, sind Wohnungsgenossenschaften nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Daraus folgt, dass die Umsatzsteuer bei Rechnungen über 
Bauleistungen zum Kostenfaktor wird. Die Senkung des Umsatzsteuersatzes hätte damit bei Ausführung von Bauleistungen in dem Zeitraum zwischen dem 01. Juli und dem 31. Dezember 2020 eine ggf. erhebliche Kosteneinsparung zur Folge. Dies gilt sowohl für Neubauvorhaben als auch für Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen.

Eine Wohnungsgenossenschaft wird es im Interesse ihrer Mieter – und damit den Intentionen des 
Gesetzgebers entsprechend – nicht dem Zufall überlassen, ob und in welchem Umfang die Genossenschaft von der temporären Absenkung des Umsatzsteuersatzes profitiert. Da sich die Bauvorhaben wegen des üblicherweise langen zeitlichen Vorlaufs mit fest vorgegebenen Ablaufplanungen nicht beliebig beeinflussen lassen, liegt es in der Verantwortung der Vorstände, nach gesetzlich zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen. Diese können einerseits in der physischen zeitlichen Verlagerung von Bauvorhaben liegen. Im Wesentlichen werden die Überlegungen jedoch an vertragliche Gestaltungen anknüpfen, um diese so zu verändern, dass die Kriterien für die umsatzsteuerliche Anerkennung der Abrechnung von Leistungen innerhalb des geförderten Zeitraums erfüllt werden.

Die nachstehenden Ausführungen beruhen auf dem derzeitigen Informationsstand über das Gesetzesvorhaben. Die Ausführungen in der o. a. Entwurfsfassung des BMF-Schreibens bleiben zunächst unberücksichtigt.

Zielsetzung und Entscheidungslage

Die größtmögliche Ausschöpfung des Umsatzsteuerpotenzials ist naturgemäß begrenzt durch die zu beachtenden steuerlichen Vorschriften, im Umsatzsteuergesetz, in den bislang geltenden Verwaltungsanweisungen sowie in etwaigen im Zusammenhang mit der Neuregelung noch zu erwartenden Regelungen. In zahlreichen Auslegungsfragen wird man sich im Zweifel an dem Regelungsrahmen orientieren können, welcher im Zusammenhang mit der letzten Erhöhung des Umsatzsteuersatzes (zum 01. Januar 2007 von 16 % auf 19 %) gesetzt worden ist. Aufgrund der o. a. Entwurfsfassung des BMF-Schreibens sind hieran nachträglich Zweifel entstanden – man wird insoweit die weitere Entwicklung abwarten müssen.

Je nach Interessenlage der überlegten Gestaltungen zu Beginn des Begünstigungszeitraums (spätere Abnahme nach dem 30.06.) oder zum Ende des Begünstigungszeitraums (möglichst vorzeitige Abnahme von Leistungen bis zum 31.12.) sind u. U. Verhandlungen mit den jeweiligen Auftragnehmern für Bauleistungen erforderlich (Veränderung der vertraglichen Regelungen über die Leistungsdefinition, evtl. mehrfache Abnahmen usw.). Darüber hinaus können unerwünschte zivilrechtliche Folgen z. B. dergestalt eintreten, dass durch eine – im Vergleich zu dem bisherigen Bauverlauf – vorzeitige Abnahme Gewährleistungsfristen vorzeitig einsetzen und es insbesondere zu einem vorzeitigen Gefahrübergang kommt. Auch darüber wird zu verhandeln sein. Steuerliche Vorteile und diesen gegenüberstehende Nachteile sind sorgfältig abzuwägen. Ein aktives Baustellen- und Vertragsmanagement im Interesse einer steuerlichen Optimierung sollte nur dann in Gang gesetzt werden, wenn sich "unter dem Strich“ für die Genossenschaft ein nennenswerter Vorteil ergibt.

Steuerliche Voraussetzungen als Ausgangspunkt

Die nachfolgenden Ausführungen betreffen ausschließlich Gestaltungsüberlegungen im Zusammenhang mit dem Ablauf des Begünstigungszeitraums, da insoweit noch durchführbare Handlungsmöglichkeiten bestehen. Dem gegenüber wird man im Hinblick auf Gestaltungen zur zeitlichen Verlagerung der Umsatzbesteuerung von Leistungen, welche bereits abgeschlossen sind oder unmittelbar vor der Fertigstellung stehen, in den Zeitraum nach dem 30.06.2020 sehr behutsam umzugehen haben, um nicht Gefahr zu laufen, gegen steuerliche Vorschriften zu verstoßen oder sich dem Vorwurf missbräuchlicher Gestaltungen auszusetzen.

Maßgebend für die Anwendung des jeweiligen Steuersatzes ist der Zeitpunkt der vollständigen Erbringung der Leistung. Auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, der Rechnungsstellung oder der Zahlung kommt es nicht an. Gemäß Abschnitt 13.1 Abs. 2 UStAE (Umsatzsteuer-Anwendungserlass) gilt eine Lieferung als ausgeführt, wenn der Leistungsempfänger die Verfügungsmacht an dem Gegenstand erworben hat. Werkleistungen gelten gem. Abschnitt 13.1 Abs. 3 UStAE im Zeitpunkt ihrer Vollendung als ausgeführt.

Insbesondere im Zusammenhang mit Bauvorhaben, die an einen Generalunternehmer im Rahmen eines Werkvertrags vergeben werden, ist die umsatzsteuerliche Ausgangslage denkbar ungünstig, da hierbei lediglich ein einziger – der vom Bauablauf betrachtet spätest mögliche – Zeitpunkt als Vollendung gilt, nämlich die Schlussabnahme des gesamten vertraglich vereinbarten Werks. Im Hinblick auf den bereits im Rahmen früherer Steuersatzänderungen durch die Finanzverwaltung gesehenen Bedarf einer Abmilderung von nachteiligen Folgen einer zementierten Vertragslage - hier einheitlicher Werkvertrag im Vergleich zu einer Bauerrichtung mit Teilvergaben - hat es die Finanzverwaltung bisher nicht beanstandet, wenn noch nachträglich, nämlich bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Steuersatzänderung (nach dem bisherigen Stand somit bis zum 31.12.2020) entsprechende Vertragsänderungen durchgeführt und Vereinbarungen über Teilleistungen getroffen werden. Auch insoweit ist vor dem Hintergrund des o. a. BMF-Schreibens noch Zurückhaltung geboten.

Teilleistungen führen auch ohne Erfüllung des Gesamtvertrags zu der Entstehung von Umsatzsteuer, sofern zwingend vorgegebene Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich:

  • Es muss sich um eine wirtschaftlich sinnvoll abgrenzbare Leistung handeln.
  • Es muss eine schriftliche Vereinbarung über die Ausführung der Leistung in Form von Teilleistungen vorliegen, welche genau zu bezeichnen sind und
  • die Teilleistungen müssen gesondert abgenommen und abgerechnet werden.

Somit besteht die Aufgabe darin, Gestaltungsoptionen auszuarbeiten, welche sich im Rahmen dieser Vorgaben bewegen. Hierbei sollte auf ein angemessenes Maß an Sicherheit geachtet werden, um spätere strittige Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung im Rahmen steuerlicher Betriebsprüfungen zu vermeiden.

Vermeidung zivilrechtlicher Folgen der Bauabnahme von Teilleistungen

Mit der Abnahme eines Werks und damit auch mit die Abnahme einer wirtschaftlich sinnvoll abgrenzbaren und rechtlich abgegrenzten Leistung ist zivilrechtlich der Gefahrübergang auf den Auftraggeber (Beschädigung oder Untergang des Bauwerks) und der Übergang von der Bauphase (unter der Regie und in der Verantwortung des Auftragnehmers) in die Gewährleistungsphase (alleinige Zuständigkeit des Auftraggebers) und wiederum damit im Prozessfall die Umkehr der Beweislast für das Vorliegen eines Mangels verbunden. Dies gilt unabhängig von dem gewählten rechtlichen Regime, sei es das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), sei es die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) mit ihren „Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen gem. DIN 1961“.

Geht man demgemäß von einem im Interesse der Wohnungsgenossenschaften spätest möglichen Eintreten des Gefahrübergangs bzw. des Fristlaufs für die Gewährleistung aus, sind Gestaltungen gefragt, welche im Vergleich zur bisherigen Vertragsgestaltung neutral wirken, gleichwohl aber der umsatzsteuerlichen Anerkennung der Abnahme einer Teilleistung nicht entgegenstehen.

Gestaltungsstrategien im Konfliktfeld zwischen Beibehaltung bisheriger zivilrechtlicher Standards und umsatzsteuerlicher Anerkennung einer vorzeitigen Abrechnung von Teilleistungen bestehen darin,

  • im bisherigen Verständnis „klassischer Projektabrechnung“ definierte Teilleistungen (z. B: „Erstellung des Rohbaus“) in umsatzsteuerlich anzuerkennende „Unter-Teilleistungen“ aufzugliedern 
(z. B. „Rohbau-Phase I“, d. h. ohne Verschluss der Installationsöffnungen und ohne Fußboden der Tiefgarage, und „Rohbauphase II“, d. h. Erledigung sämtlicher Restarbeiten)
  • die Gewährleistungsfrist– im obigen Beispiel – erst am Ende der Phase II beginnen zu lassen und
  • im Hinblick auf den Gefahrübergang – wieder im obigen Beispiel des Rohbaus – mit dem Ersteller des Rohbaus z.B. eine gesonderte Teilleistung „Bauwerkssicherung Rohbau“ zu vereinbaren, wonach der Leistungsnehmer letztlich das Risiko der Beschädigung oder des Untergangs des Bauwerks und alle damit zusammenhängenden Pflichten übernimmt, wie er sie auch in dem Fall wahrnehmen würde, wenn der Rohbau noch nicht abgenommen wäre und sich somit noch in seinem Risikobereich befände.

Wie in dem vorstehenden Beispiel des Rohbaus können und sollten sämtliche Gewerke auf eine steuereffiziente Gestaltungsmöglichkeiten analysiert werden, aus denen ein substantieller Effekt 
(Steuerersparnis abzüglich Zusatzkosten/-risiken) erwartet werden kann.

Empfehlung zur praktischen Vorgehensweise

Wir empfehlen die unverzügliche Ingangsetzung eines Projekts „Realisierung von Vorteilen aus der Absenkung des Umsatzsteuersatzes“, welches primär den derzeitigen Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2020 im Auge hat, in einem Folgeschritt aber ergänzend auf das erste und darüber hinaus sogar auf das zweite Halbjahr 2021 ausgerichtet sein sollte. Die Arbeitsschritte, für die konkrete Verantwortlichkeiten sowie Beginn- und Erledigungszeitpunkte festgelegt werden sollten, können – Berücksichtigung individueller Verhältnisse vorausgesetzt – wie folgt beschrieben werden:

  • Erstellung einer Übersicht über sämtliche geplante Bauvorhaben einschließlich Instandhaltungsmaßnahmen sowie über etwaig geplante Immobilienerwerbe (letztere nur, falls der Umsatzsteuer unterworfen) mit Volumina und zeitlicher Verteilung / Feststellung des Vertragsstatus mit Auftragsnehmern
  • Anspruchssicherung bis zum 30.06.2020 durch Abschluss von „Generalvereinbarungen“ im Hinblick auf die Vereinbarung von Teilleistungen
  • Aufteilung sämtlicher Vorhaben nach Gewerken und Identifizierung im Hinblick auf den 31.12.2020 (ergänzend 30.06.2021/ 31.12.2021) „kritischer Aufträge/Gewerke“
  • Identifizierung von Gestaltungsmöglichkeiten durch Festlegung von Teilleistungen in bestehenden Verträgen
  • Bewertung des Umsatzsteuer-Einsparpotentials bei den einzelnen Gestaltungen und Gegenüberstellung mit etwaigen spezifischen Nachteilen (z. B. erhöhte Abnahmekosten, Verhandlungsaufwand mit Vertragspartnern, Anwaltskosten, Nachteile der Gewährleistung)
  • Abwägung und Entscheidung im Gesamtkontext sämtlicher Maßnahmen / vertragliche Umsetzung.

Es liegt auf der Hand, dass die vorstehende Schrittfolge und der konkrete Projektplan individuell je Wohnungsgenossenschaft erstellt werden müssen. Die Hinzuziehung externen Rats wird zu überlegen sein.

gez.: Dr. H.-W. Kortmann und A. Busch

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